Bunte Vielfalt
Biodiversität beginnt vor der Haustür. Das Bewusstsein in den Städten und Gemeinden für das Thema steigt, denn im kommunalen Umfeld gilt es, unterschiedlichste Flächen zu bewirtschaften. Hier liegt eine große Chance, diese Areale nicht nur für Bienen und andere Insekten attraktiver zu machen. Eine Rundreise durch drei deutsche Kommunen.
Losheim am See
Saarland
Die Gemeinde Losheim am See liegt eingebettet in den Naturpark Saar-Hunsrück und erstreckt sich über eine Fläche von rund 97 Quadratkilometern. Dank des namensgebenden Stausees, vielfach prämierter Wanderwege und der landschaftlich reizvollen Lage im Schwarzwälder Hochwald mit weitläufigen Buchenmischwäldern, idyllischen Talauen und Bachläufen ist Losheim am See ein beliebtes Ausflugs- und Reiseziel. Um die Pflege des Stauseegeländes mit Seegarten, der Parkanlagen und sonstigen Grünflächen sowie des Verkehrsbegleitgrüns und der Friedhofsflächen kümmert sich das Grünflächenteam des Baubetriebshofs in enger Abstimmung mit dem Fachbereich „Umwelt und Gemeindeentwicklung“. Die Beschäftigten halten auch das Wander- und Radwegenetz von Losheim am See in Stand. Für den Kommunalwald mit Ruheforst sind zwei Revierleiter und ein Team aus Forstwirten zuständig. Werner Ludwig, Leiter des Fachbereichs „Umwelt und Gemeindeentwicklung“, betont, was ihm bei der Pflege und Bewirtschaftung dieser unterschiedlichen Gebiete wichtig ist: „Wir als Gemeinde müssen beim Erhalt und bei der Förderung der Biodiversität auf unseren kommunalen Flächen mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb arbeiten die Beschäftigten in den Fachbereichen Umwelt, Waldmanagement und Baubetriebshof stets Hand in Hand, um praktikable Lösungen zu finden.“
»Unser Ziel ist: die Vereinbarkeit von effizienter Bewirtschaftung und Pflege mit Natur- und Artenschutz.«
Werner LudwigFachbereichsleiter „Umwelt und Gemeindeentwicklung“ in Losheim am See
Pirmasens
Rheinland-Pfalz
In der westpfälzischen Sieben-Hügel-Stadt Pirmasens beschäftigt man sich seit langem mit einem nachhaltigen Grünflächenmanagement und wurde dafür bereits mit dem „Spar-Euro“ und dem Siegel „StadtGrün naturnah“ ausgezeichnet. Die Stadt verfügt über rund 100 Hektar Grün, Spiel- und Sportflächen, deren Pflege auch mit Kosten verbunden ist. Um diese möglichst niedrig zu halten und gleichzeitig für ein schönes Landschaftsbild zu sorgen, hat die Stadt verschiedene Maßnahmen ergriffen, die nun jährlich Personal- und Energiekosten von rund 100.000 Euro einsparen. Im Rahmen der eigenen Biodiversitätsstrategie verleiht Pirmasens seinem Grünflächenkonzept immer wieder neue Impulse; an einer eigens gebildeten Arbeitsgruppe beteiligten sich Vertreterinnen und Vertreter unter anderem von Naturschutz- und Umweltverbänden sowie Schulen und Kindergärten, Mitarbeitende des Garten- und Friedhofsamts, Kommunalpolitiker sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger. Thomas Iraschko, Leiter des Wirtschafts- und Servicebetriebs der Stadt Pirmasens, erklärt: „Die Gestaltung des öffentlichen Raums nach naturnahen Konzepten geht immer einher mit einem Umdenken in Verwaltung, Politik und Bürgerschaft. In Pirmasens ist es uns gelungen, ein überzeugendes ‚grünes Paket‘ zu schnüren, mit dem wir Aktionen zur Nachhaltigkeit fördern. Möglich wurde dies nicht zuletzt über das enge Zusammenspiel städtischer Institutionen mit den Einwohnerinnen und Einwohnern unserer Stadt.“
Waiblingen
Baden-Württemberg
Im Süden Deutschlands ist Waiblingen Teil einer pulsierenden Metropolregion und wichtiger Industriestandort. Zentrale Verkehrsachsen wie die Bundesstraßen B 14 und B 29 sowie der ÖPNV stellen die Anbindung der Kreisstadt des Rems-Murr-Kreises innerhalb der Region Stuttgart sicher. Die Stadt erstreckt sich, eingerahmt von Weinbergen, entlang der Rems. Nicht zuletzt für eine höhere Lebensqualität will man in Waiblingen mit einer eigenen Biodiversitätsstrategie die Lebensräume heimischer Tier- und Pflanzenarten erhalten. Denn früher häufig anzutreffende Arten wie Rebhuhn oder Kiebitz sind hier weitgehend verschwunden. Die Kommune engagiert sich gemeinsam mit lokalen Naturschutzorganisationen seit vielen Jahren für die Artenvielfalt: Die Aktionen reichen vom Anlegen von Wildblumenflächen über Biotopvernetzungen, die Verteilung von kostenlosem Saatgut und die Wiederherstellung von Trockenmauern in Steillage-Weinbergen bis hin zum Wettbewerb „Naturnaher Garten“. Auch durch die Remstal-Gartenschau, die sich 2019 als erste interkommunale Gartenschau Deutschlands durch 16 Städte und Gemeinden entlang der Rems zog, stieg das Bewusstsein der Bevölkerung für Biodiversität nochmals deutlich. Jörg Kist von der Abteilung Grünflächen führt aus: „Der Artenschutz ist eine Daueraufgabe. Wir setzen unsere Biodiversitätsstrategie deshalb konsequent fort, auch durch Projekte an Schulen und Kitas, wie beispielsweise Naturerlebniswochen und das Anlegen von Schulgärten. So kann bei Kindern und Jugendlichen das Bewusstsein für die Natur geweckt und gefördert werden.“
Vielfalt fördern
Der Forstwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Müller beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung mit Biodiversität, Waldökologie und Naturschutz. Er ist stellvertretender Leiter der Nationalparkverwaltung Bayrischer Wald und führt das Sachgebiet Naturschutz und Forschung. An der Universität Würzburg leitet er den Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie.
Herr Prof. Dr. Müller, Sie forschen unter anderem zum Schutz der biologischen Vielfalt in unseren Wäldern. Warum ist Biodiversität denn so wichtig?
MÜLLER Seit Anbeginn der Menschheit ist die Vielfalt der Ökosysteme, Arten und Gene für unsere Existenz wichtig. Schon die frühen menschlichen Siedlungen waren Regionen mit vielfältigen Lebensräumen wie Weidegründen und Flüssen, die Nahrung und Trinkwasser lieferten. Und auch heute basiert zum Beispiel mindestens die Hälfte der Produkte in einem Lebensmittelladen auf unterschiedlichen Enzymen von Pilzen, die die Vielfalt unserer Nahrungsmittel ausmachen. Oder denken Sie – gerade während der aktuellen Pandemie – an Medikamente. Wir entziehen uns also unsere eigene Lebensgrundlage, wenn wir bestimmte Dinge verlieren. Man kann das natürlich quantifizieren und zum Beispiel die Bestäubungsleistung von Wildbienen in Euro berechnen. Ich bin aber kein Freund davon, alles in Cent und Euro anzugeben.
Wo und wie äußert sich heute der Verlust der Artenvielfalt?
MÜLLER Darauf gibt es keine einfache Antwort, und es hängt davon ab, welche Indikatoren man betrachtet. Den Spitzenprädatoren ist es noch nie so gut gegangen wie jetzt: Es hat zum Beispiel in den letzten 100 Jahren nie so viele Wölfe und Luchse in Deutschland gegeben wie derzeit. Wenn man allerdings die Wälder betrachtet, hat hier mit dem Einzug der kommerziellen Forstwirtschaft schon vor 100 bis 150 Jahren ein Artensterben eingesetzt. Aus Sicht der damaligen Zeit vollkommen berechtigt – Holz war knapp und man musste in wenigen Jahrzehnten produktiver werden –, aber bestimmte Holzkäfer sind dadurch selten geworden. Zum Glück hat sich hier in den letzten 30 Jahren wieder Vieles zum Besseren gewendet, weil sich das Bewusstsein gewandelt hat. Auf der anderen Seite spitzt sich im Agrar- und Siedlungsbereich vieles zu. Wir versiegeln einfach zu viel Fläche, hier müsste das Ausgleichsflächengesetz konsequent als Chance umgesetzt werden. Auch der Einsatz von Pestiziden ist in den letzten 30 Jahren nochmals deutlich gestiegen. Damit entziehen und schädigen wir die Lebensgrundlage für viele Arten.
Schadet ein bewusster Eingriff in die Natur immer, und sollte man ihr besser ihren sprichwörtlichen Lauf lassen?
MÜLLER Es gibt auch hier kein Richtig oder Falsch. Wichtig ist, dass man in gewissen Situationen eine Eigendynamik zulässt und zumindest immer wieder die Frage stellt: „Wo ziehen wir uns zurück?“. Zurückhaltung ist immer angebracht, wenn die Natur im jetzt bestehenden Ökosystem eine hohe Dynamik zeigt. Bestes Beispiel ist der Nationalpark Bayerischer Wald. Als wir vor vielen Jahren entschieden haben, den Wald vermeintlich dem Borkenkäfer zu opfern und das laufen zu lassen, war das eine unpopuläre Entscheidung. Heute wissen wir, dass das hinsichtlich der Vielfalt der Ökosysteme und der Arten ein absoluter Gewinn war. Es gibt aber auch den anderen Fall. Ein Laubwald zum Beispiel, der vom Mensch homogenisiert wurde, hat praktisch keine Dynamik mehr, dort passiert hinsichtlich Strukturvielfalt fast nichts. Das ist dann der Moment, wo ein aktiver Eingriff auf jeden Fall förderlich für die Biodiversität ist.
In der Broschüre „Naturschutz mit der Kettensäge“1, an der Sie als einer von acht Autoren mitgewirkt haben, werden praktische Tipps vermittelt, wie solche Strukturen und Lebensräume im Wirtschaftswald angelegt und gefördert werden können. Worauf kommt es dabei an?
1 Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
MÜLLER Im ersten Moment erscheint der Naturschutz mit der Kettensäge widersprüchlich. Tatsächlich ist es aber so, dass die Natur viele Ereignisse im Wald produziert, bei denen ein Baum verletzt wird: Ein Ast bricht ab, der Blitz schlägt ein, der Sturm wirft einen Baum um. All diese Störereignisse fördern die Vielfalt. So kann beispielsweise eine Wunde am Baum entstehen, in die Pilze eindringen und deshalb dann später seltene Käfer. Viele dieser Störereignisse kann man mit Maschinen nachahmen. Den Arten ist es letztlich egal, ob das ein menschlicher Eingriff war oder der Blitz. Das können wir uns zu Nutze machen und unsere strukturarmen Wäldern mittleren Alters anreichern. Sei es durch die Schaffung von Totholz, das Entlichten von Baumkronen oder vieles mehr.
Kann man Ihre Erkenntnisse aus dem Wald und der Forstwirtschaft auf andere Bereiche übertragen? Wie ist es denn um die Biodiversität im kommunalen Umfeld bestellt?
MÜLLER Der Charme städtischer Grünanlagen liegt darin, dass sie keine ökonomische Produktionsfläche sind. Dort muss weder Raps noch Mais noch Fichtenholz produziert werden. Tatsächlich ist das eine Besonderheit, denn dadurch lastet auf den Bäumen oder auf den Gehölzpflanzen nicht der Druck der Holzproduktion. Deshalb finden sich heute zum Beispiel im Regensburger Stadtpark mehr Urwaldreliktarten-Käfer als in all unseren naturnah bewirtschafteten Wäldern drumherum. Einfach, weil die Bäume dort alt werden dürfen und regelmäßig gepflegt werden, damit sie sicher bleiben und keine Spaziergänger gefährdet werden. Wie gesagt, durch diese pflegenden Eingriffe können vielfältige Strukturen entstehen und solche Flächen zu einem anziehenden zweiten Lebensraum machen. In den Kommunen besteht oft ein hohes Interesse daran, dies zu fördern.
Kann ein urban geprägtes Umfeld denn einen natürlichen Lebensraum ersetzen?
MÜLLER Das Spannende ist, dass die Arten relativ hemmungslos sind. Sie sind strukturabhängig. Wo die Struktur ist und wie sie da hinkommt, ist ihnen letztendlich egal. Nehmen Sie den Wanderfalken als Beispiel, der in der Großstadt den Kirchturm als Ersatzstelzen nutzt. Das hat mit Natur nichts zu tun und ist ein unnatürlicher Lebensraum für ihn. Am Ende müssen wir aber doch froh sein, dass viele Arten lernen, unsere künstliche geschaffenen Objekte zu nutzen und mit uns zu leben, nachdem wir moderne Menschen so viele natürliche Lebensräume kaputt machen.